Springe zum Inhalt

Rede zum Weinheimer Haushalt 2018

[Rede von Dr. Carsten Labudda, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Weinheimer Stadtrat, vom 21. Februar 2018]

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen und der Fortschritt ist eine Schnecke. Auch in diesem Jahr haben wir uns wieder um einen Tag verbessert. Wir verabschieden den Haushalt der Stadt Weinheim jetzt schon am 21. Februar. Vor sieben Jahren war es noch der 29. Februar. Ich habe in diesem Hause schon einige dicke Bretter gebohrt. Drei Jahre hatte ich zu tun, bis der Verstärkerbus im Schulverkehr zur Multschule kam. Vier Jahre dauerte es, bis die Leiharbeit am Strandbad Waidsee überwunden wurde. Und sieben Jahre hatte ich zu tun, bis die Anpassung der Gewerbesteuer endlich kam. So bin ich weiterhin zuversichtlich, dass ich es noch erleben werde, dass wir den städtischen Haushalt eines Tages vor Beginn des Haushaltsjahres beschließen werden, nicht mehr mitten im laufenden Jahr.

Herr Oberbürgermeister, wir haben in den zurückliegenden Jahren manchen Dissens gehabt und manchen Konsens gefunden. In dieser Frage jedoch, da scheiden wir ohne Einigung. Sie hielten und halten es für hilfreich, eher spät zu beschließen, stets in der Hoffnung, dass die Zahlen mit der Zeit exakter werden. Ich habe ihnen nicht nur einmal entgegengehalten, dass die Empirie ihre Hoffnung nicht stützt. Nicht nur das: Da die Genehmigung des Haushalts erst im Laufe des Mai zu erwarten ist, müssen die Kolleginnen und Kollegen z.B. im Hoch- und im Tiefbauamt fünf Monate auf Sicht fahren und im Anschluss sieben Monate mit Arbeitsverdichtung zurechtkommen. Den berechtigten Wunsch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach wenigstens ein Bisschen Entzerrung der Arbeit werde ich nun also ihrem Nachfolger präsentieren dürfen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Kommen wir von der Form zum Inhalt. Wieder einmal gestaltet sich unser Haushalt günstiger als zunächst befürchtet. Dafür möchte ich zunächst der Kämmerei um Herrn Soballa meinen Dank aussprechen. Ihre Haltung, konservativ zu rechnen, teile ich. So stellen sie sicher, dass, wenn die Überraschungen kommen, diese in aller Regel gute Überraschungen sind und keine schlechten. Und gerade, weil es nicht um unser Geld geht, sondern um das Geld der Bürgerinnen und Bürger, müssen wir auch weiterhin sorgsam und vorsichtig damit umgehen.

Unser Haushaltsplan für dieses Jahr gestaltet sich rund 2,5 Millionen Euro besser als ursprünglich angenommen. Wir planen mit einem Plus von gut 2 Millionen Euro. Das ist schön. Ich gönne es unserem Oberbürgermeister, zum Ausstand nochmal mit einem Plus aufwarten zu können. Für seinen Nachfolger wird es sich nicht so gut ausgehen. Ab dem kommenden Jahr planen wir mit einem mehrjährigen Tal der Tränen. Bis Ende 2020 wird die Liquidität der Stadt um circa 36 Millionen Euro schrumpfen, Millionenkrediten zum Trotz. Auf der einen Seite schlagen große Investitionen wie das Schulzentrum West und die Anschlussunterkünfte zu Buche. Auf der anderen Seite stehen wir als Kommune am Ende der politischen Nahrungskette, bekommen seit Jahren von Bund und Land Aufgaben ohne ausreichende Finanzierung zugewiesen. Was folgt, ist eine strukturelle Unterfinanzierung, mit der die Kommunen zurechtkommen müssen. Der gemeinsame Brandbrief von Städte-, Gemeinde- und Landkreistag an die Landesregierung spricht da Bände.

Wie können wir mit diesem Problem umgehen? Wir können die Ausgabenseite nach Einsparmöglichkeiten durchforsten. Das tun wir seit vielen Jahren. Im Ergebnis bliebe uns der Abbau von Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Das beträfe soziale Leistungen und all die wichtigen Dinge, die das Miteinander in unserer Stadt besser machen. Oder von einer anderen Warte aus betrachtet: Es ginge um die so genannten weichen Standortfaktoren, die Weinheim besonders attraktiv machen. Das wollen wir nicht. Und zwar erfreulicherweise fraktionsübergreifend.

Wenn wir unsere Stadt nicht kaputt sparen wollen, müssen wir also auf die Einnahmeseite schauen. Steuern und Abgaben haben wir in den zurückliegenden Jahren bereits erhöht. Auf besondere Initiative der Linken wurde im letzten Jahr die Zweitwohnsitzsteuer neu eingeführt. Auch hier wollen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht noch mehr zumuten.

Damit bleibt als wichtigster Posten das Thema Gewerbesteuer. Die übergeordnete Gesetzgebung sorgt dafür, dass Kommunen in einen Wettbewerb gegeneinander geschickt werden. Die gesetzlich verordnete Konkurrenz bedeutet, dass wir gezwungen sind, profitable Unternehmen in die Stadt zu locken. Warum, fragen manche. Die Gewerbesteuereinnahmen sind doch in den letzten Jahren gestiegen. Das lag daran, dass die in der Stadt ansässigen Unternehmen ihre Profitabilität gesteigert haben. Was auf der einen Seite erfreulich ist, hat auf der anderen Seite Grenzen, nämlich die Grenzen der Konjunktur. Und darüber hinaus wurde es gerade bei den großen Firmen in der Stadt erkauft mit Standort- und somit Arbeitsplatzverlagerungen nach Ungarn, in die Slowakei, in die Türkei, eine für Weinheim unerfreuliche Kehrseite der Medaille. Für uns als Stadt ist es darum wichtig und ökonomisch geboten, konjunkturelle Risiken zu diversifizieren. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir das Gewerbesteueraufkommen auf mehr Schultern verteilen müssen. Mit anderen Worten: Die gesetzlich verordnete Kannibalisierung der Kommunen erfordert es, neue Gewerbeflächen auszuweisen.

Das ist ein Dilemma, und kein kleines. Mehr Gewerbeflächen bringen nämlich weitere Bodenversiegelung mit sich. Sie kosten uns wertvollen Naturraum. Das geht zu Lasten unserer Landwirtschaft. Das geht zu Lasten unserer Naherholungsgebiete. Und das geht zu Lasten des Klimas. Man kann es auch anders ausdrücken: Die Verbesserung der so genannten „harten Standortfaktoren“ führt hier zu einer Verschlechterung der so genannten „weichen“ Standortfaktoren.

Darum ist bei der Frage der Gewerbeentwicklung ganz besonders behutsam vorzugehen. Wir müssen uns fragen: Wieviel Gewerbe brauchen wir, um das Funktionieren unserer Stadt langfristig zu sichern? Welche Art von Gewerbe soll es sein? Wo macht es Sinn? Und wo nicht? Um es dabei ganz klar zu sagen: Mag die juristische Bindungsfrist des Bürgerentscheides über die Breitwiesen auch abgelaufen sein, wir Linken fühlen uns weiterhin an den Bürgerwillen gebunden. Wir wollen die Breitwiesen nicht versiegeln. Wir haben wie andere auch auf das Tiefgewann gesetzt, gerade auch, weil es städtebaulich passt und verkehrlich bereits gut angebunden ist. Das Gutachten zum Hochwasserschutz hat uns da ausgebremst. Umso erfreulicher finden wir es, dass das technische Dezernat noch einmal prüft, was geht und was nicht. Das ist auch absolut notwendig. Wenn wider Erwarten nämlich doch einmal die Weschnitz über den Deich schwappen sollte, beträfe es zuallererst den größten Arbeitgeber und wichtigsten Gewerbesteuerzahler unserer Stadt. Der mag für seine vor Jahrzehnten errichteten Produktionshallen rechtlich gesehen Bestandsschutz genießen. Aber der Weschnitz ist das egal. Darum sind wir seitens der Linken zuversichtlich, dass die Ausschlussgründe für die Entwicklung des frisch erschlossenen Tiefgewanns auf absehbare Zeit überwunden werden.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Ich möchte an dieser Stelle einen historischen Exkurs mit hoher aktueller Bedeutung machen. Heute vor 170 Jahren erschien das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels. Es ist allen Umdeutungen und allem Missbrauch zum Trotz bis heute einer der wichtigste Grundlagentexte der sozialen Bewegungen.

Entscheidend daran bleibt seine Zielbestimmung: eine Gesellschaft, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ Ich bin überzeugt, dass wir alle uns dieser Zielbestimmung anschließen können. Uns eint die Überzeugung, dass jede und jeder sich frei entwickeln können soll, und dass daraus etwas Gutes für alle entsteht. Das ist der zutiefst liberale Kern marx‘schen Denkens. Ich erlaube mir darum, Sie alle heute schon einzuladen, mit uns am 5. Mai im Bürgersaal des Alten Rathauses Marx‘ 200. Geburtstag zu feiern. Als Laudator konnten wir den thüringischen Kulturminister und Chef der Staatskanzlei Professor Benjamin-Immanuel Hoff gewinnen. Ich bin überzeugt, das wird für uns alle ein intellektueller Gewinn.

Um auf „die freie Entwicklung eines jeden“ zurück zu kommen: Was braucht es dafür? Um einige Punkte zu nennen: Dafür braucht es ein Dach über dem Kopf, gute Bildungsangebote und damit Lebensperspektiven. Schon sind wir bei der Aktualität von Karl Marx, denn das sind die Themen, an denen wir als Stadt Weinheim arbeiten.
Städtische Wohnungen werden modernisiert, neue Wohnungen werden gebaut. Dabei wird nach jahrelangem Disput endlich an die Errichtung sozialen Wohnraums gedacht, damit auch Menschen mit schmalem Geldbeutel in Weinheim zu Hause sein können. Das ist uns Linken wichtig und die neuen Leitlinien für den sozialen Wohnungsbau darum aus unserer Sicht ein guter Schritt in die richtige Richtung. Ebenso ist der laufende dezentrale Bau von Anschlussunterbringungen für geflüchtete Menschen eine gute Sache, zumal diese Gebäude nach Ablauf der Bindungsfrist als sozialer Wohnraum zur Verfügung stehen. Das ist eine bedeutende Investition in die Zukunft unserer Stadt und zugleich aufgrund der Dezentralität ein wichtiges Hilfsmittel bei der Eindämmung von Gentrifizierung. Was uns als Linke hierbei besonders freut, ist der Umstand, dass unser Vorschlag aufgenommen wurde, einem der heutigen Bewohner die Chance auf eine Qualifizierung zum Facility Manager zu geben und die Gebäude künftig in einem gemischten Team zu bewirtschaften. Es hilft bei der Integration, es verbessert die Akzeptanz und es ist Ausdruck eines zentralen Credos: Diversität ist unsere Stärke.

Die „freie Entwicklung eines jeden“ benötigt auch gute Bildungsangebote. Da steht Weinheim schon ganz gut da. Wir haben eine breit gefächerte Bildungslandschaft. Mit der „Weinheimer Initiative“ konnte unsere Stadt sogar bundesweit Aufsehen erregen. Doch muss unsere Bildungslandschaft zukunftsfest ausgebaut werden. Dies bedeutet heute vor allem auch, bei der Digitalisierung Schritt zu halten. Daher möchte ich an dieser Stelle der CDU danken, denn ihr auch mit unseren Stimmen beschlossener Antrag, zusätzliche Mittel für die Digitalisierung der Weinheimer Schulen bereit zu stellen, geht in die richtige Richtung. Es freut mich auch, dass unser Verbesserungsvorschlag aufgenommen wurde, hierzu nicht eine neue Stabsstelle mit einer weiteren Führungskraft einzurichten, sondern die IT-Abteilung der Stadt mit einem neuen Mitarbeiter zu stärken, denn es geht nicht nur darum, immer neue Konzepte zu schreiben, sondern vor allem darum, vorhandene Konzepte auch in Taten umzusetzen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Wenn „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller“ sein soll, so bedeutet das, dass auch alle die Chance auf Teilhabe an der Entwicklung unseres Gemeinwesens haben sollen, und zwar über die Wahl von Repräsentanten hinaus. Bei der Entwicklung und Implementierung von Formaten der Bürgerbeteiligung hat sich in den letzten Jahren einiges getan in Weinheim. Doch wir Linken wollen mehr Demokratie wagen. Unser Ziel ist der Bürgerhaushalt, ein städtischer Haushalt, bei dem sich unsere Einwohnerinnen und Einwohner mehr und direkter als bisher einbringen und wiederfinden können.

Als Vorstufe können wir uns gut vorstellen, gekoppelt an jeweils anstehende Wahlen Bürgerbefragungen durchzuführen, so dass den Weinheimerinnen und Weinheimern nicht nur Personen und ihre Programme als Gesamtpaket vorgelegt werden, sondern eben auch einzelne Sachfragen. Wir Linken sind überzeugt, dass dies die politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger weiter intensiviert und unserem Gemeinwesen guttut.

Wichtig für gute Entscheidungen sind – da werden alle zustimmen – ausreichende Informationen. Auch hier können wir als Stadt Weinheim noch eine Schippe drauflegen. Seit wie vielen Jahren weise ich in schönem Wechsel mit meinem Kollegen Pröhl darauf hin, dass es allerhöchste Zeit für ein funktionierendes Ratsinformationssystem ist. Immer wieder wurde uns berichtet, warum dieses nicht klappt und jenes hakt. Es reicht. Dasselbe System läuft in Heidelberg seit vielen Jahren anstandslos. Ich hoffe sehr, dass Sie, Herr Oberbürgermeister, es schaffen, an dieses Thema noch vor Ihrer Pensionierung diesen Sommer einen Haken machen zu können.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Wir haben heute über den vorerst letzten positiven Haushalt der Stadt für die nächsten Jahre abzustimmen. Nicht alles, was wir Linken uns wünschen, hat darin Einzug gefunden. So ist es schade, dass die Erhöhung des Zuschusses für die Tagesmütter um 50 Cent je Stunde keine Mehrheit fand. So müssen wir darauf hoffen, dass die im Raume stehende Erhöhung um einen Euro, die auf Landesebene verhandelt wird, möglichst bald auch tatsächlich kommt. Doch insgesamt blicken wir auf einen städtischen Haushalt, der die zentralen Herausforderungen der Zukunft aufnimmt, gerade in den Bereichen Bildung, Wohnen und Integration. Darum geben wir seitens der Linken dem vorliegenden Haushalt nebst Stellenplan unsere Zustimmung.

Ich möchte unseren Dank aussprechen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt, die gewohnt tapfer aus unseren Beschlüssen Taten werden lassen.

Ich danke den Kolleginnen und Kollegen des Stadtrates für die in Konsens wie Dissens interessanten und konstruktiven Debatten.
Ich danke den Bürgerinnen und Bürgern Weinheims für ihr großes Engagement zum Wohle unserer Stadt. Auf so eine rege Bürgerschaft können wir alle stolz sein.

Ich danke den Journalistinnen und Journalisten, die als vierte politische Gewalt zur Lebendigkeit unserer Demokratie beitragen. In diesem Zusammenhang möchte ich an letztes Jahr erinnern, als der Hashtag #freedeniz aufkam: Am letzten Wochenende ist der Journalist Deniz Yücel nach einem Jahr Haft ohne Anklage endlich freigelassen worden. Doch wenn gleichzeitig andere Journalisten in der Türkei für das Verrichten ihrer Arbeit zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt werden, muss uns das Mahnung und Verpflichtung sein, weiterhin weltweit für die Freiheit von Meinung und Presse einzutreten.

Und nun, last but not least auch Danke an unseren Oberbürgermeister. Heiner, ob es jemandem passt oder nicht - zu dem, was Du sagst, stehst Du. Diese Verlässlichkeit zeichnet Dich aus. Du hast es in Deinem Amt völlig zurecht nicht immer leicht mit uns gehabt. Deinem Nachfolger wird es selbstverständlich nicht besser gehen. Heiner, es war schön mit Dir.