Springe zum Inhalt

Radverkehr im Rhein-Neckar-Kreis braucht höhere Priorität

[Rede von Kreisrätin Frederike Marx (DIE LINKE) bei der Sitzung des Kreistages des Rhein-Neckar-Kreises am 20. Juli 2021]


Sehr geehrter Herr Landrat,
sehr geehrte Damen und Herren,

wie manche von Ihnen wissen werden, fahre ich oft und viel mit dem Fahrrad. Es ist üblicherweise preiswert, gesund und praktisch. Allerdings habe ich seit langer Zeit das Gefühl, dass ich als Radfahrerin im Rhein-Neckar-Kreis nur eine geringe Priorität habe. Alle paar Kilometer stoße ich auf Wegeführungen, die nichts anderes als gefährlich sind. An vielen Kreuzungen und Ausfahrten fehlen Markierungen oder Beschilderungen. 

Immer wieder erlebe ich Autofahrer, die sich als Könige des Straßenverkehrs zu fühlen scheinen und für die ich dann zwangsläufig mitdenken muss, weil ich im Ernstfall eben keine Knautschzone habe. Theoretisch Vorfahrt zu haben ist nichts, worauf man sich auf dem Fahrrad verlassen kann. Für mein Empfinden ist die schlechte Sicherheitslage der Radfahrer einer der Gründe, weshalb immer noch nicht viel mehr Menschen im Alltag aufs Rad umsteigen. Das muss sich ändern.

Im Rahmen unseres heute zu beschließenden Radwegekonzeptes konnten die Bürgerinnen und Bürger sich intensiv einbringen. Siehe da: Die Öffentlichkeitsbeteiligung hat gezeigt, dass ein großer Teil der Einwohnerinnen und Einwohner mein Sicherheitsempfinden teilt.

Etwa die Hälfte der Befragten fühlen sich beim Radfahren im Rhein-Neckar-Kreis unsicher bis sehr unsicher. 80% halten die Wegqualität für mindestens schlecht, 65% erreichen ihr Ziel nicht auf direktem Weg, 75% vermissen geeignete und sichere Abstellmöglichkeiten für ihr Fahrrad und 55% empfinden die Beschilderung als mangelhaft. Das sind wohlgemerkt 55% der hier wohnenden Menschen mit Ortskenntnis. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei Touristen oder dem Fahren neuer Strecken der Protzentsatz der Fahrer, die nicht auf Anhieb den Weg finden, deutlich höher ist.

Es wurden im Kreis 240 Problemstellen gemeldet im Kontrast zu 84 fahrradfreundlichen Stellen. Hier sind fehlende Abstellanlagen oder fehlende Wegweiser nicht mal mit eingerechnet. Das bedeutet, dass durchschnittlich alle 2,8 Kilometer Probleme bestehen, ein unhaltbarer Zustand! Das Ergebnis der Erhebung ist deutlich: Die Unzufriedenheit mit der momentanen Situation ist hoch, ein Großteil empfindet Radfahren im Rhein-Neckar-Kreis nicht als sicher und die Radwegeführung als umständlich und unklar, zum Beispiel bei der Querung von Straßen.

Der Fokus der zukünftigen Entwicklung des Radnetzes muss also neben dem generellen Ausbau auf der Verbesserung der Sicherheit liegen. Die Kennzeichnungen müssen deutlicher werden und bauliche Trennungen zwischen Straße, Rad- und Fußweg müssen die Regel werden. Fahrradschutzstreifen sind maximal eine Übergangslösung bei starkem Autoverkehr mit hohen Geschwindigkeiten. Auch Kreuzungen müssen so gestaltet werden, dass es nicht nur auf Bedarf Grünphasen für Fahrräder gibt. 

Genauso wie beim Autofahren wird das Fahrradfahren durch kürzere Wartezeiten attraktiver. An Kreuzungen und zum Beispiel Tankstellenausfahrten müssen Radwege farblich markiert werden. Wir als Linksfraktion sind der Überzeugung, dass mit erhöhter Sicherheit und Qualität der Radverbindungen viele Leute den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad machen, besonders beim Weg zur Arbeit, Schule oder Ausbildung sowie im Freizeitbereich.

Das vorliegende Konzept zum Zielnetz ist ein umfassender und ein ambitionierter Plan für die nächsten fünf Jahre und stellt einen guten Auftakt für weitere zukünftige Verbesserungen des Radnetzes dar. Auch wenn nur 20% der Baulast für die neu hinzugenommenen Strecken beim Kreis liegt, so kommen wir mit den Investitionen für die nächsten Jahre langsam in die Größenordnung, die jährlich für die Substanzerhaltung der Kreisstraßen ausgegeben wird. Das befürworten wir und sind gespannt, wie sich dieses Verhältnis in der Zukunft weiterentwickeln wird.

Ein ebenso großer Teil der Baulast liegt bei unseren Kommunen. Diese haben aber in der Regel eine deutlich geringere personelle und finanzielle Leistungskraft als der Kreis. Weil ein vernünftiges Radwegenetz aber eben nicht nur aus kreiseigenen sondern eben auch aus interkommunalen und kommunalen Verbindungen besteht, sollte aus unserer Sicht die Kooperation zwischen Kreis und Kommunen verbessert werden. Wir wünschen uns eine aktive Unterstützung der Kommunen, zum Beispiel bei der Recherche von Förderprogrammen und eventuell sogar bei der Planung. 

Ebenso wäre es wünschenswert, wenn interkommunale Wegeverbindungen im Konzept des Kreises zukünftig berücksichtigt werden. Auch wenn primär Ortsteile verbunden werden, können solche Strecken wichtige Verbindungsstücke für den Verkehr sein, das beste Beispiel hierfür ist der hier zur Abstimmung stehende Radweg zwischen Sinsheim-Steinsfurt und Sinsheim-Adersbach. Viele Kommunen können die Planung solcher Strecken kaum leisten. Hier sollte der Kreis zumindest bei Recherche, Prüfung und Planung unterstützen.

Wir stimmen der Beschlussvorlage zu. Allerdings kann es nach Erreichen des Zielnetzes nicht zu einem Stillstand bei der Weiterentwicklung kommen.

Gerade im südlichen und östlichen Teil des Kreises sind auch nach 2026 noch weitere Verdichtungen und zusätzliche Verbindungen nötig. Umso kürzer und direkter die Radverbindungen für das Individuum werden, umso attraktiver wird auch der Umstieg. In Zeiten fortschreitenden Klimawandels muss es unser aller Interesse sein, den Menschen die Alternativen zum Auto attraktiver zu gestalten, als es bisher der Fall war