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Rede zum Weinheimer Haushalt 2023

[Rede von Dr. Carsten Labudda, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Weinheimer Stadtrat vom 1. März 2023]

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

„Dunkel war’s, der Mond schien helle / Schneebedeckt die grüne Flur / Als ein Wagen blitzeschnelle / Langsam um die Ecke fuhr…“

Zumindest die Älteren unter Ihnen werden dieses alte sächsische Scherzgedicht noch kennen, in welchem Widersprüche sprachlich produktiv gemacht werden. Ich habe diese Worte an den Anfang meiner Haushaltsrede gestellt, denn um Widersprüche soll es auch hier gehen.

Im letzten Jahr habe ich in meiner Haushaltsrede erfreut konstatiert, dass die Stadt Weinheim vergleichsweise gut durch die Corona-Krise gekommen ist. Heute liegen uns die aktualisierten Zahlen vor, so dass wir genauer wissen, was unserer Stadt dabei geholfen hat. Dies hatte drei zentrale Gründe.

Zum ersten hatte sich das Gewerbesteueraufkommen besser entwickelt als kalkuliert, so dass wir in der Lage waren, eine hohe Liquidität aufzubauen. Das ist sehr erfreulich. Ob es so erfreulich bleibt, scheint aber aktuell eher unsicher. Im letzten Jahr betrug das Wirtschaftswachstum in Deutschland insgesamt 1,8 Prozent. Die letzten drei Monate davon war es aber ein Minus von 0.4 Prozent. Und für dieses Jahr sagen die Auguren etwas um die Null voraus. Dabei darf ich daran erinnern, dass die Prognosen der Bundesregierung in den letzten Jahren stets höher lagen als das tatsächliche Ergebnis. Inwieweit in einem solchen wirtschaftlichen Umfeld die Einnahmen aus der Gewerbesteuer auch in den kommenden Jahren so gut sind, ist also mir Vorsicht zu betrachten.

Der zweite Grund dafür, dass Weinheim gut durch die Corona-Krise kam, lag an gestiegenen Zuweisungen von Bund und Land. Leider besteht auch auf diesem Feld eine große Unsicherheit, wie es weitergeht. Mit Sonderzuweisungen im Rahmen der Pandemie ist es vorbei. Welche neuen Sondermittel auf uns zukommen, z.B. zur Versorgung der Kriegsflüchtlinge oder zum Ausbau der Kinderbetreuung, ist und bleibt an vielen Stellen noch zu verhandeln. Ob da Auskömmlichkeit erreicht wird, möchte ich anhand der Erfahrungen aus der Vergangenheit mit Fragezeichen versehen.

Und dann noch der dritte zentrale Grund: Geplante Investitionen konnten oft nicht so schnell wie geplant umgesetzt werden. Auf der einen Seite waren viele Baufirmen und Handwerker ausgebucht und die Lieferketten wurden durch Pandemie und Krieg gestört. Auf der anderen Seite haben wir erst vor drei Wochen wieder darüber sprechen müssen, dass unser städtisches Personal am Anschlag arbeitet. So konnte so manches, was der Gemeinderat beschlossen hatte, nicht schnell genug umgesetzt werden. Und ich sehe nicht, dass unser Personal in nächster Zeit entlastet werden würde.

Die Linksfraktion war erst vor Kurzem beim Personalrat der Stadt. Wir haben uns ausführlich schildern lassen, wie es unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht. Kurz gesagt: Nicht gut. Ich will das ein einfachen Beispielen darstellen.

Zum einen ist auch während des Ausnahmezustandes in der Corona-Zeit durch gesetzliche Veränderungen ein Mehr an Arbeit auf die Kolleginnen und Kollegen zugekommen. Da sind die gesteigerten Prüfaufträge im Rahmen der Reform des Waffenrechts. Da ist der zum Zwecke der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger verschärfte Lärmschutz, für dessen Umsetzung es nun einmal Personal braucht. Oder die erfreulicherweise verbesserten Zugänge bedürftiger Bürger zum Wohngeld, um die sich ja aber auch Personal der Stadt kümmern muss.

Dann kommt zum zweiten das Mega-Thema Fachkräftemangel. Die Menschen in unserer Stadt bekommen das in besonderem Maße im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste zu spüren. Es mangelt an Erzieherinnen und Erziehern. In der Folge wird das vorhandene Personal mehr belastet. Die Krankenstände sind gestiegen, müssen irgendwie vertreten werden. Oder es werden notfallmäßig Gruppen zusammengelegt. Oder alternativ die Betreuungszeiten gekürzt. Unter solchen Bedingungen wandern weitere pädagogische Fachkräfte zum Schutz der eigenen Gesundheit in andere Bereiche ab. Es ist ein Teufelskreis, in dem wir stecken, und unter dem die Kinder, deren Familien und das Personal selbst leiden.

Anstatt wie von allen Seiten gefordert, soziale Berufe attraktiver zu machen, wird in Stuttgart überlegt, ob die Kita-Gruppen nicht vielleicht noch größer gemacht werden sollen. Und wenn es um eine den Belastungen des Berufs adäquate Bezahlung geht, dann sind die Arbeitgeber wie immer gern am Mauern.

Dies trifft in besonders starkem Maße die Beschäftigten im unteren Bereich des Gehaltsgefüges. Beim Bauhof, bei der Grundschulbetreuung oder auch beim Reinigungspersonal stellt sich immer öfter die Frage, wieviel Monat am Ende des Geldes noch da ist.

Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen der Gewerkschaften ver.di und dbb absolut verständlich. Zehn Prozent mehr oder mindestens 500 Euro mögen bei Teilen hier im Saal für Kopfschütteln sorgen. Aber mit einem Blick auf die Inflation relativiert sich das schnell. Mieten, Energie, Lebensmittel – das alles sind Ausgaben, bei denen Menschen mit wenig Einkommen besonders hart getroffen werden. Deswegen sagt DIE LINKE „JA“ zu den Forderungen der Gewerkschaften, denn wer hart arbeitet, der muss auch in der Zukunft von seiner Hände Arbeit leben können.

Das wird aber am Haushalt der Stadt nicht spurlos vorbeigehen. Die Kämmerei geht schon jetzt davon aus, dass mittelfristig wieder Schulden aufgenommen werden müssen, zum Beispiel, um die notwendigen Investitionen in die Kinderbetreuung finanzieren zu können. Aktuell kommen wir nur deshalb ohne neue Schulden aus, weil wir über große frei liquide Mittel verfügen. Diese werden in diesem und den beiden kommenden Jahren von gut 47 Millionen auf 4 Millionen sinken. Bis 2026 werden wir nur noch knapp über dem Durst sein, rund 250.000 Euro über der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestliquidität. Angesichts eines Haushaltsvolumens von über 150 Millionen Euro ist das eine Reserve von knapp über nichts. Und in diesen Berechnungen der Kämmerei sind für die Steigerung der Tariflöhne immer noch die geringen Steigerungsraten der Vorjahre maßgeblich. Das wird sich nicht halten lassen.

So stehen wir vor einem furchtbaren Widerspruch, der sich stetig verschärft. Auf der einen Seite brauchen wir dringend mehr und besser bezahltes Personal, um all die vielen Aufgaben und Wünsche, die vom Gesetzgeber, vom Gemeinderat und von den Bürgerinnen und Bürgern an die Stadt herangetragen werden, irgendwie erfüllen zu können. Auf der anderen Seite haben wir im Gemeinderat bei ziemlich jeder Stelle, die von der Verwaltung angefordert wird, Debatten, ob sie denn überhaupt gebraucht wird oder ob die Kolleginnen und Kollegen bei der Stadt das nicht anders hinbekommen, denn sonst steigen die Ausgaben im Haushalt. Mit anderen Worten: Wir fahren entweder unseren Haushalt auf Verschleiß oder unser Personal oder beides.

Ohne strukturelle Verbesserungen durch Bund und Land wird sich das Dilemma nicht allein durch uns auflösen lassen. Ein einfaches Beispiel: Der Gesetzgeber hat zurecht beschlossen, dass jedes Kind einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz hat. Wir als Kommune bekommen aber nur 63 Prozent der Kosten dafür. Den Rest der Kosten teilen sich die Stadt und die Familien. Würde Baden-Württemberg dem Beispiel der meisten anderen Bundesländer folgen und die Kita beitragsfrei stellen – mit anderen Worten: die Kosten übernehmen – dann würden die Stadt Weinheim und die Familien mit Kindern jeweils um einen mittleren Millionenbetrag entlastet. Leider blockiert die grün-schwarze Landesregierung an dieser Stelle seit Jahren.

Unter den beschriebenen Bedingungen eines strukturell unterfinanzierten Haushaltes fanden nun vor drei Wochen die Beratungen zu den Anträgen der Fraktionen statt. Und da komme ich zum nächsten Widerspruch, der sich vor unseren Augen und Ohren auftat. Allen Fraktionen ist die finanzielle Lage Weinheims bekannt. Und alle, die nicht völlig empathielos sind, wissen um die Belastung des städtischen Personals. Der Wünsch-Dir-Was-Einstellung im Gremium tat das aber wenig Abbruch. Spitzenreiter waren die Freien Wähler, die mit Wünschen über 930.000 Euro in die Beratungen gingen. Die FDP, die ja beim Personal immer ganz besonders sparsam sein will, ging mit Ausgabenwünschen von einer halben Million Euro ins Rennen. Im Mittelfeld trafen sich die Grünen und die SPD, die für Extra-Ausgaben von 281.000 Euro bzw. 222.000 Euro warben. Bei vielen der eingebrachten Wünsche lautete die Antwort der Verwaltung: Wir würden eure Wünsche ja gern in der gewünschten Zeit umsetzen, allein, uns fehlt es an den personellen Ressourcen. Personal auf Verschleiß? Ich sprach davon. Da müssen wir von Glück im Unglück sprechen, dass die meisten Extra-Wünsche der Fraktionen vor zwei Wochen zurechtgestutzt wurden.

Allein die CDU und DIE LINKE blieben wirklich sparsam. Es sollten 15.000 Euro bzw. 12.000 Euro sein. Und ich will lobend erwähnen, dass die CDU sich als Einzige mit einem Versuch, die Einnahmen der Stadt zu verbessern, zu Wort gemeldet hatte, auch wenn ihr Vorschlag – die Privatisierung öffentlicher Sportplätze – aus Sicht der LINKEN grundfalsch ist.

Richtig ist es aber, wenn aufgrund des Antrages der LINKEN die Verwaltung in diesem Jahr endlich an einem Konzept zur Gewinnung, Entwicklung und Erhaltung des Personals arbeiten will. Dass es ein solches Konzept nicht schon lange gibt, erscheint kaum zu rechtfertigen. DIE LINKE ist darum sehr gespannt, was die Verwaltung uns im Laufe des Jahres vorlegen wird.

Alles in Allem muss DIE LINKE konstatieren, dass der Stadt Weinheim finanziell wenig erbauliche Jahre bevorstehen, unter anderem durch eine angekündigte Erhöhung der Kreisumlage im kommenden Jahr um rund sechs Prozentpunkte. Der vorliegende Haushaltsentwurf bemüht sich, im schwierigen Spagat zu bestehen, zwischen der Notwendigkeit investiv aufzusatteln und einem durch übergeordnete Stellen verursachten strukturellen Mangel. In diesem Zwiespalt tragen wir ihn in diesem Jahr mit. 

Vielen Dank.